2013 | Hasti Radpour

Es ist das Besondere dieses seit über 25 Jahren bestehenden Stipendiums, dass das Künstlerhaus in den Sommermonaten nicht nur Arbeitsstätte eines ausländischen Künstlers ist, sondern gleichzeitig auch immer soziokulturelle Begegnungsstätte mit recht internationalem Hintergrund ist. Das besondere Flair, die kulturelle Eigenständigkeit und oftmals auch die besondere Problematik eines Landes oder einer Region sind bei den Arbeitsaufenthalten der ausländischen Künstler in diesem Haus auch immer mit präsent und spürbar. Der technikbesessene Nerd Allen West aus den Vereinigten Staaten, der blinde Maler Keith Salmon aus Schottland, der farbenfrohe Richard Safari aus Ruanda – um nur die letzten Künstler zu nennen – ihre Arbeiten sind nicht ohne ihren spezifischen, soziokulturellen Hintergrund einzuordnen.

So ist es auch bei unserem diesjährigen Gast im Künstlerhaus, bei der im Iran geborenen Malerin Hasti Radpour. 

Hasti stammt aus Sari, einer iranischen Stadt am Kaspischen Meer. Ihre Familie zog von dort nach Teheran, wo sie nach Abschluss der Schule an der Kunsthochschule studierte. Als Hasti 20 war, wurde die Familie auseinander gerissen, sie blieb für sechs Jahre mit ihrem drei Jahre jüngeren Bruder allein in Teheran zurück. Die Erfahrungen dieser Jahre waren prägend für Hasti, wie sie auch heute immer wieder betont. Eine von Männern dominierte Gesellschaft in einem dogmatisch religiös ausgerichteten Staat lässt wenig Freiraum für die Artikulation einer jungen, allein lebenden Frau. Während das private Leben argwöhnisch überwacht wurde, war auch das Kunststudium nicht ein Hort der Freiheit. Zwar war man im Kreis der Mitstudierenden liberaler, aber dadurch kam man schnell in die Nähe der Subversion. Ihr großes Interesse an figurativer Malerei, das sie auch gemeinsam mit ihren engsten Studienfreunden teilte, brachte die Gruppe schnell in die Konfrontation mit einer Kunstauslegung, die alles Körperliche strikt negiert. 

Ohne es zu wollen, kam sie in die politische Kritik. Sich nur auf abstrakte Darstellungen zu beschränken, wie ein wohlmeinender Professor damals riet, kam für sie nicht in Frage. Vor sechs Jahren verließ sie den Iran, um ein freies Leben in der Kunst zu führen, in einem Land, „wo ich mich ausdrücken kann, wie ich es will“.  Seit dieser Zeit lebt sie mit ihrem Bruder wieder zusammen bei ihrer Familie – inzwischen ist auch eine Ehemann dazugekommen – in Schweden, wo sie in Linköping ein eigenes Atelier hat.

TRADITION, SUPERSTITION, FALSE RELIGION, 

So hat Hasti Radpour ihre Werkschau im Künstlerhaus überschrieben. Der Titel verweist auf einen Song aus den rebellischen 70ern von Freddie Mercury von Queen, in dem es in einer Textzeile heißt: „Unser Leben wird diktiert von Tradition, Aberglaube und falscher Religion“, während Tradition und Aberglaube gängige Begriffe sind, taten wir uns mit der Übersetzung der „false Religion“ etwas schwer, vielleicht liegt die „falsche Religion“ irgendwo zwischen Heuchelei, Scheinheiligkeit und Götzenanbetung.


Als wir ein geeignetes Bild für die Einladung zu dieser Werkschau suchten, einigten wir uns rasch auf die Collage mit den Köpfen der Medusa – für Hasti in gewisser Weise ein Schlüsselbild. Als ich sie nach den Hintergründen und der Bedeutung des Motivs befragte, erzählte sie von ihrer Schulzeit im Iran. Und sie erzählte von ihrem Lehrer, der das Bild der schlangenköpfigen Medusa bemühte, um seinen Schülerinnen die Höllenqualen der Frauen zu zeigen, die ihr Haar nicht verhüllten. Hasti sagt, sie und ihre Freundin hätten damals darüber gekichert, natürlich unter ihrem Schleier.

Diese kleine Begebenheit ist sehr aufschlussreich, denn sie zeigt den kurzen Weg zwischen Tradition und Aberglaube und dass es für viele nur die Flucht in die kollektive Scheinheiligkeit gibt. Und diese Heuchelei ist für Hasti die größte Barriere zwischen den Menschen der iranischen Gesellschaft. 

Es fällt bei den großen Arbeiten auf, dass es keine Männer gibt. Seltsam, wo wir aus unserer Sicht gerade den Männern in dieser Gesellschaft eine Bedeutungshoheit beimessen würden. Für Hasti sind es aber die Frauen, die für Frauen selbst zum Problem werden. Jede minimale Abweichung von der gesetzten Norm wird akribisch kontrolliert und kommentiert, jede Übertretung erhöht den Druck auf die Einzelne, jeder Regelverstoß wird gnadenlos sanktioniert. 

Hasti sagt, dass sie erst vor einiger Zeit in Schweden realisierte, dass die fehlende Solidarität und auch die mangelnde Kommunikation unter den Frauen ihr Leben im Iran so unerträglich machte.

Das erste Bild, welches Hasti in Speyer malte, war die junge Frau, die mit einem abgewandten Gestus fliegende Goldfische auf Distanz hält.

 

Ein rätselhaftes Bild – bei dem mir spontan die Grafik von A. Paul Weber aus den 20ern einfiel – „Das Gerücht“, vielen wird dieses Bild bekannt sein, denn es war früher in fast allen Schulbüchern abgebildet. Nur ist dieses personifizierte Gerücht ein vielarmiges monströses Ungeheuer, hier sind es niedliche Goldfische – im vorderasiatischen Raum sind sie Glückssymbole – trotzdem setzt Hasti diese schönen Tierchen in eine geradezu bedrohliche Nähe zu der zentralen Frauenfigur: Zudringlichkeiten, die wie gut gemeinte Ratschläge daherkommen, geheuchelte Ermahnungen, die die Luft zum freien Atmen nehmen, Glücksverheißungen, die absolute Anpassung erfordern. Wer sich sich gegen die Norm auflehnt, wird kollektiv bestraft und bleibt einsam zurück. 

Es sind diese Themen, an denen sich Hasti abarbeitet, aus ihrer persönlichen Perspektive fällt der Blick natürlich nicht auf das Exotische, das Fremdländische – es ist bei ihr vielmehr der eigene Blick von Innen nach Außen.

Die großen Arbeiten sind ausnahmslos ohne Titel – ohne weitere Erklärungen, nichts soll vom eigentlichen Werk ablenken oder durch einen direkten thematischen Bezug den Betrachter in die Irre führen. Die großen Arbeiten hängen also da wie stumme Zeugen eines fremdartigen Geschehens. Einerseits verunsichert mich diese Namenlosigkeit – denn alles was ich benennen kann wird für mich fassbarer, vertrauter. Andererseits ermöglicht die Namenlosigkeit einen persönlichen Zugang zu den Bildern.

Als Hasti die vierte große Arbeit beendet hatte – sagte sie wie befreit: So, das ist jetzt abgeschlossen! Jetzt mache ich nur noch kleine Arbeiten.Es entstanden eine Reihe kleinerer Collagen, locker montiert und luftig. Vergleicht man diese Arbeiten mit den großen Acrylbildern, so kommen sie einem vor wie kleine Blüten, die wachsen wollen und die nicht die persische Tradition verleugnen, die den Hintergrund bildet. Aber auch kleinere Provokationen passieren in den kleinen Collagen, da sitzt die kleine Musikantin auf der Nase des Löwen, der keinen Spass versteht und Männer werden zu Pantern, aber von der pinkfarbenen Sorte. Daneben gibt es auch noch die eine oder andere Reminiszenz an ihren derzeitigen Aufenthaltsort und auch die unterschiedlichen Stadien einer trocknenden Speyerer Brezel hat sie sehr gekonnt in Szene gesetzt.

Es ist einerseits ein Werkschau, die die Arbeit von knapp drei Monaten zeigt, andererseits ist es ein sehr persönliche Statement. Daher auch zum Abschluss eine Aussage der Künstlerin mit der ich meine kleine Einführung abschließe. Hasti Radpour sagt: „Traditionen, Aberglaube und falsche Religion haben eine große Distanz in unserer Gesellschaft geschaffen, die zu Missverständnissen und Mangel an gegenseitigem Respekt führen. Mit dieser Ausstellung lasse ich Sie teilnehmen an meinen Gefühlen, meinen sehr spezifischen Erinnerungen und meinen Erfahrungen, wenn man einfach anders ist. Ich tue dies in der Hoffnung auf eine bessere Welt, mit weniger Konflikten und einem größeren, wechselseitigen Verständnis.“

Ansprache zur Ausstellung Hasti Radpour im Künstlerhaus Speyer 30. August 2013

Michael Lauter


RHEINPFALZ vom 30.August 2013

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